Bill Kinderhirn lebt
Bill Kinderhirn
wohnte in der Straße, die nach Insterburg & Co. benannt wurde.
Er lebte bei seinen Eltern in einem streichholzschachtel-ähnlichen Haus
aus Holzverstrebungen und Eternitwänden. Da war es sehr gemütlich.
13 andere Hausbesitzer teilten sich einen gepflasterten Wohnweg, auf den
die verschiedenfarbigen Wohnungstüren zugingen. Es gab grüne, blaue,
gelbe und rote Eingänge. Nach einer Weile entschieden sich Leute, die
sich einen seriösen Anstrich geben wollten, allerdings für ätzende
kackbraune Türen mit konservativen Verzierungen und Spion. Es gab eingeschößige
Wohnhäuser, sogenannte Bungalos, aber auch welche mit zwei Stockwerken.
Der Keller war nicht direkt unter dem Haus, da sich dort eine Tiefgarage
befand. Es gab ein Gerücht, daß sich hier unten Ratten befänden,
die neun Meter weit springen konnten.
Das machte Bill nichts aus.
Er vebrachte viel Zeit in den dunklen Räumen, besonders wenn es regnete.
Wenn jemand nach unten kam, wurde das immer durch das angehende Licht signalisiert.
Zudem hatte die Tiefgarage eine prima Abfahrtsrampe. Sie konnte per Rollerskates,
mit dem Gokart oder dem Fahrrad superschnell befahren werden. Mit Skatern
mußte man aber aufpassen, nicht im Regenablaufgitter, das sich am Ende
der Rampe befand, hängenzubleiben. Einmal fuhr Bill mit dem Gokart nach
unten und mußte drehen, weil das elektrische Tor geschlossen war. Er
war aber so schnell, daß er mit dem Gokart umfiel und böse stürzte.
Zum Glück hatte er seinen Römerhelm auf, so daß er sich nicht
schlimm verletzte.
Andere Kinder, die nicht in
der Wohnreihe lebten, wollten dort natürlich auch die Rampe herunterfahren.
Doch das erlaubte Bill nicht. Er verscheuchte sie und einen band er sogar
mit seinem Brustbeutel an einen Baum, von dem ihn ein anderer Junge befreien
mußte. Die meisten hielten sich dann an diese Regel.
Bill wollte nun sein Revier
ausweiten. Der nächste interessante Ort, war ein Abenteuerspielplatz
in der Kolbergerstrasse. Man musste durch eines der kleinen Wäldchen
hindurch, die zwischen allen Strassen des Viertels vorhanden waren. Sie waren
Überbleibsel eines Teil vom grossen Waldes, der sich nördlich der
Grosstadt erstreckte. Der Abenteuerspielplatz war aus Kiefernholz errichtet
worden. Der gesamte Wald hatte riesige Kiefern. Sie ragten 50 Meter in die
Höhe und erreichten fast die Hochhäuser, die zu Beginn jeder Strasse
standen; bis auf eine der sechs s-förmigen Strassen, die zum Bonzenviertel
führte.
Um dieses grossflächige
Revier kontrollieren zu können, hatte Bill vor eine Gang zu gründen.
Am liebsten wäre ihm eine Motoradgang gewesen, aber dafür war er
zu jung. Auf dem Abenteuerspielplatz trieben sich auf jeden Fall immer die
wildesten Kinder rum. Sie hatten sich schon zu einer kleinen Gruppe formiert,
deren Anführer ein rothaariger, kräftiger Junge war und seine rechte
Hand, ein Koloss, das im Laufe der Jahre zu einem Totschläger mutierte.
Beide würde später zur Knochengruppe gehören.
Frech wie Bill war, konnte
er schnell die Aufmerksamkeit auf sich lenken und forderte die Gruppe zum
Kampf auf. Sie fielen in Bills Revier ein, doch er hatte vorgesorgt und ließ
den Fight von einem grösseren Nachbarsjungen regeln. Der bekam ziemlich
auf´s Maul, aber Bill hatte sich Respekt verschafft. Nur wollte nun
keiner mehr in der Gang mitmachen, da es zu gefährlich erschien, sich
mit den ganzen Halbstarken herumzuprügeln. So gründete Bill eine
Vereinigung die sich "Der schwarze Stein" nannte und deren Präsident
er selber war und dessen Mitgliederzahl sich auf eins beschränkte. Als
Präsident befuhr er nun mit dem Fahrrad alle Strassen seiner Heimatstadt
und kontrollierte so ein recht grosses Gebiet. Den einzigen Stadtteil den
er aufgeben musste war die Heidestückersiedlung. Dort kamen ihm nämlich
gleichmal zwei zahnlose Mädchen entgegen, die ihn sofort angingen und
Schläge androhten. Ebenso erkannte er, dass sich ein Großteil
der hiesigen Zuhälter aus der Königsbergerstrasse rekrutierten und
dass sich die Nordstadt fest in der Hand der "Zerstörer" befand. Er
brauchte also mehr Kumpels, die sich für Schlägerei und Saufen
begeistern konnten.
Diese fand er auch und zwar
im Stadion. Er schloss sich bei Heimspielen des Karlsruher Sportclubs dem
damals grössten Fanclub, den "Meistern"an. Da waren einige Glatzen dabei
und nach jedem Spiel wurden die auswärtigen Fans zum Bahnhof gejagt,
da sie sonst was auf die Mütze bekommen sollten.
Er vermied allerdings sich
zu sehr in den Vordergrund zu stellen und wollte hier nur Jungs aus seinem
Viertel kennenlernen. Mit denen gelang es auch eine 20-köpfige Gang
zu formieren, mit denen man sich nachts heimlich traf und Fackelumzüge
durch das erschlossene Revier veranstaltete. Dies war alles reine Provokation,
doch der Zusammenhalt war enorm und so schaffte man es, zu den gefährlichsten
Gruppen zu gehören. Es gab sogar einen Bericht im Fernsehen, der hauptsächlich
grölende, betrunkene Jugendliche zeigte, die wild in die Kamera blickten.
Zudem konnte man einträgliche Tätigkeiten bekommen, wie Ordnerdienste
beim Faschingsumzug und so´n Quatsch.
Mit der Zeit waren aber immer
häufiger komische Gestalten dabei, die sich mehr für Deutschland
in seiner reinen Form, als für Fussball und Spasshaben begeisterten.
Das war die Zeit, als die stolzen Deutschen das Land für sich alleine
haben wollten.
Der Staat verbot daraufhin
solche Gruppen, so dass sich die "Meister" und die "Knochen" auflösen
mußten.
Bill kaufte sich nun eine Lederjacke
und schrieb ganz gross "Müll" hinten drauf und verzierte das Ganze mit
einem Totenkopf. Damit lief er immer herum, selbst im Urlaub am Gardasee
ging er mit Badehose und Lederjacke an den Strand. Er hörte wilde Musik
wie "Die Ausgebeuteten" oder "Schleim"; schnell, hart und laut. Er lernte
die "Strassenjungs" kennen und begann Leute zu besuchen, die in Häusern
wohnten, die abgerissen werden sollten. Damit entzog er sich der Gang und
wurde von ihnen geächtet. Sie passten ihn ab, prügelten auf ihn
ein und verboten ihm, sich in der Innenstadt blicken zu lassen. Auch die
Polizei wurde auf ihn aufmerksam und befragten ihn zu seiner Jacke.
"Was bedeutet denn das; "Müll"??"
"Was ist das für ein Zeichen
hinten drauf?"
"Welcher Gruppe gehörst
Du an?"
Immer, wenn es irgendwo Ärger
gab, stürtzte man sich auf ihn. Das kotzte ihn an und er machte seinem
Ärger Luft, indem er mit Freunden eine Punkband gründete, mit dem
tollen Namen "Die Rache der vernünftigen, unabhängigen Punx" und
schrie:
"In meiner Jugend war
das so,
man war von vorneherein
froh,
wenn man die Dinge
dieser Welt
völlig auf
den Kopf gestellt;
und die Alten
waren faul,
ihre Gesichter
fahl und grau,
keine Bewegung
mehr im Hirn,
na, was soll denn
da passier´n.
Verbote hier,
Verbote da,
doch so langsam
kam ich klar,
auf der Strasse
sah ich viel,
was mir immer
mehr gefiel.
Meine kleine Welt
nahm zu,
ich traf immer
mehr wie du.
Freche Lapp und
arrogant
zog ich durch
das fremde Land.
In mancher Strasse
war ich nicht
so gern geseh´n
bei Tageslicht,
eine Faust BUMM
in´s Gesicht,
einen Arschtritt
nur für mich,
meine Nase war
zu lang
oder hast das
Falsche an,
keine Schuhe so
wie wir,
verpiss Dich schnell
von hier!